Was Cuomo – einer der seltsamsten Schätze des Rock – nicht wusste, war, dass die Vergebung, die er suchte, bald von ihm selbst kommen würde, und dass das Kapitel, das er zu schließen hoffte, noch lange nicht abgeschlossen war.

Weezer’s zweite Veröffentlichung sollte am 24. September 1996 in die Regale kommen. Nach dem Dreifach-Platin-Erfolg des selbstbetitelten Debüts von 1994 warteten Hörer und Kritiker gleichermaßen gespannt auf die Veröffentlichung von Pinkerton. Das so genannte Blaue Album hatte mit eingängigen, radiotauglichen Power-Pop-Songs wie „Buddy Holly“ und einem bahnbrechenden Musikvideo die Hörer quer durch alle Genres begeistert. Weezer war eine Band, die man einfach mochte – sie waren zugänglich genug, um mit Leichtigkeit in eine Szene aus Happy Days zu passen, und hip genug, um von Beavis und Butt-head ehrenvoll geröstet zu werden. „Say It Ain’t So“ und „Undone (The Sweater Song)“ hatten diese durch und durch geekige Gruppe in den Mainstream katapultiert.

„Wir sahen, wie sich unser Publikum von intelligenten, hip aussehenden Leuten zu kompletten Idioten veränderte, die nur kamen, weil sie das Video sahen“, gab Gitarrist Brian Bell 1996 gegenüber dem Toronto Star zu.

„Das ist der Preis, den du zahlst, wenn du davon leben willst.“

Während sich der Rest der Band mit ihrem neu entdeckten Ruhm arrangiert haben mag, hatte Cuomo zu kämpfen. Der rasante Erfolg machte ihn unruhig und konfliktreich. Er begann, seine Gefühle in das Folgealbum einfließen zu lassen: eine von Madame Butterfly inspirierte Science-Fiction-Rockoper. Die Oper mit dem Titel Songs from the Black Hole befasste sich mit Themen wie unglücklichen Beziehungen und der Desillusionierung von Prominenten. Im Laufe von fast zwei Jahren sollte sich die Richtung des Albums jedoch grundlegend ändern.

Eine Operation zur Verlängerung seines linken Beins im Jahr 1995 verursachte bei Cuomo lähmende Schmerzen. In einem emotional und körperlich labilen Zustand zog er sich aus der Öffentlichkeit zurück und schrieb sich an der Harvard University ein, um klassische Komposition zu studieren. Cuomos Songwriting entwickelte sich von Liedern über das Surfen und 12-seitige Würfel hin zu einem zutiefst konfessionellen Stil. Angetrieben von Texten, die er direkt aus seinen Tagebüchern entnommen hatte, verwandelte sich Songs from the Black Hole langsam in Pinkerton, eine Anspielung auf den egoistischen Antagonisten aus Madame Butterfly, der am Ende alles zerstört, was er liebt.

Aufgewachsen in einem Zen-Zentrum in Connecticut, kam Cuomo durch eine Kiss-Platte zum ersten Mal wirklich mit Rockmusik in Berührung. Diese ungleichen Einflüsse trafen schließlich in Pinkerton zusammen, das auf prekäre Weise lustvolle Themen mit Ausdrücken tiefgreifender sexueller Schuldgefühle ausbalancierte.

Es half auch nicht, dass der Songwriter unter ständigen körperlichen Schmerzen litt.

„Rivers war auf Schmerzmitteln. … Er hatte diesen schmerzhaften Apparat an seinem Bein. Es war schmerzhaft für ihn, seine Gitarre auf eine bestimmte Weise zu halten, deshalb sind die meisten dieser Songs in der ersten Position geschrieben. Ich musste die Songs fast mit Eiern aus ihm herauspressen“, erinnerte sich Bell 2001 gegenüber dem Rolling Stone.

In der Hoffnung, die Stimmung ihrer Live-Auftritte zu reproduzieren, entschieden sich Weezer, Pinkerton selbst zu produzieren. Das Ergebnis war ein rauerer, etwas dunklerer Sound, der mehr an die Pixies erinnerte als an den ausgefeilten Power-Pop, den Ric Ocasek mit der Band auf dem Blue Album realisiert hatte.

„Ich denke, dass ein Großteil des Sounds dieser Platte für mich aus den Sound City Studios in Van Nuys, Kalifornien stammt. Die ersten Sessions fanden bei Electric Lady und Fort Apache statt, aber wenn ich die Platte höre, höre ich Sound City, und der Umzug dorthin im Januar ’96 war ein wichtiger Teil dieses Sounds. Es war derselbe Raum, in dem Nevermind aufgenommen wurde“, erinnerte sich Bandhistoriker und „fünftes Mitglied“ Karl Koch 2010 gegenüber Alternative Press.

Nur einen Tag vor der Veröffentlichung wurde die Band von der Detektei Pinkerton mit einer 2-Millionen-Dollar-Klage wegen Markenrechtsverletzung konfrontiert. Die eindeutig von Madame Butterfly beeinflussten Texte und das Coverdesign des Albums machten den Fall zu einem leichten Sieg für die Band und das Label Geffen, aber der Vorfall gehörte am Ende zu den besten Schlagzeilen, die das Album in diesem Jahr bekommen sollte.

„Pinkerton schrieb uns: ‚Euer Album hat sich dank der kostenlosen Presse sehr gut in den Charts platziert'“, so Bell gegenüber dem Toronto Star.

Die Klage war nur der Anfang einer unglücklichen Kette von Ereignissen.

Trotz Cuomos vorheriger Entschuldigung an seinen Fanclub überraschte die sexuelle Natur von Pinkerton die Hörer. Der harmlose bebrillte Kerl, der sich einst nach seiner Mary Tyler Moore sehnte, hatte seine Aufmerksamkeit auf einen 18-jährigen japanischen Fan gerichtet. Texte wie „I wonder what clothes you wear to school/I wonder how you decorate your room/I wonder how you touch yourself/And curse myself for being across the sea“ erinnerten zu sehr an den Mann hinter dem Vorhang.

„Als Songwriter nimmt der Sänger und Gitarrist der Band, Rivers Cuomo, eine jugendliche Haltung zu persönlichen Beziehungen ein“, schrieb der Kritiker Rob O’Connor vom Rolling Stone.

„In Pinkerton schmachtet er nach all den Mädchen, die er nicht haben kann, nach den Mädchen, die er haben kann, aber nicht haben sollte, nach den Mädchen, die nicht gut für ihn sind, und nach den Mädchen, bei denen er sich einfach nicht sicher ist.“

Lauwarme Kritiken trudelten ein. Sowohl das Album als auch die Leadsingle „El Scorcho“ erreichten Platz 19 der Charts, floppten aber von dort an. Die Verkaufszahlen sanken weiter, als Geffen zwei weitere Versuche unternahm, eine Hitsingle zu finden. Der poppigste verfügbare Titel, „The Good Life“, erreichte Platz 32, während „Pink Triangle“, eine Geschichte über die unerwiderte Liebe eines Jungen zu einer Lesbe, überhaupt nicht in die Charts kam. Die Leser des Rolling Stone erklärten Pinkerton zum drittschlechtesten Album des Jahres. Die Platte war ein Reinfall.

„Bei den Konzerten weiß man nie. Die Tournee war großartig“, erinnerte sich Koch gegenüber Alternative Press.

Trotz einer erfolgreichen Tournee war die Moral niedrig und die Spannungen hoch. Cuomos Abneigung gegen seine Schöpfung war spürbar. Der größte Schlag kam im Juli 1997: Die Weezer-Freunde und Fan-Club-Gründer Mykel und Carli Allan sowie ihre jüngste Schwester Trysta kamen bei einem verheerenden Autounfall nach einem Konzert der Band ums Leben. Der Wendepunkt war erreicht; Weezer lösten alle vertraglichen Verpflichtungen auf und legten eine Pause ein.

„Jeder hasste es. Kritiker, die Mehrheit unserer Fans, die meisten meiner Freunde und Familie, die anderen Bandmitglieder … Alle hielten es für eine Peinlichkeit. Eines der schlechtesten Alben aller Zeiten“, sagte Cuomo 2001 gegenüber Entertainment Weekly über Pinkerton.

„Es ist eine hässliche Platte. … Es war ein äußerst schmerzhafter Fehler, der vor Hunderttausenden von Menschen passierte und immer wieder in größerem Ausmaß passiert und einfach nicht verschwinden will. Es ist, als würde man sich auf einer Party richtig betrinken und vor allen Leuten sein Herz ausschütten und sich dabei unglaublich toll und kathartisch fühlen, um dann am nächsten Morgen aufzuwachen und festzustellen, was für einen kompletten Narren man aus sich gemacht hat.“

Nach dem anfänglichen Fallout von Pinkerton zersplitterten Weezer. Frustriert von Cuomos Unwillen, wieder an die Arbeit zu gehen, konzentrierte sich Gitarrist Brian Bell auf seine frühere Band Space Twins, während Schlagzeuger Patrick Wilson mit seiner Band Special Goodness nachzog. Gerüchte über das Wohlergehen des zurückgezogen lebenden Frontmanns begannen zu kursieren, eine Situation, die an das Schicksal eines von Cuomos eigenen Idolen, Brian Wilson, zu erinnern schien.

„Ich wurde mehr und mehr isoliert. … Ich habe mein Telefon ausgestöpselt. Ich habe die Wände und die Decke meines Schlafzimmers schwarz gestrichen und die Fenster mit Glasfaserisolierung abgedeckt“, bestätigte Cuomo 2006 in der New York Times.

Die Band des Bassisten Matt Sharp, The Rentals, war derweil nach ihrem Debüt Return of the Rentals immer noch erfolgreich. Obwohl nie geklärt wurde, was zwischen ihm und Cuomo vorgefallen ist, gab Sharp im April 1998 offiziell seinen Ausstieg bei Weezer bekannt.

„Ich weiß nicht wirklich, wie ich mich dazu äußern soll, weil ich nicht weiß, was privat bleiben soll und was mitgeteilt werden sollte. Ich habe sicherlich meine eigene Meinung dazu, und ich bin mir sicher, daß jeder andere auch seine eigenen, etwas nebulösen Ansichten hat. Wenn man eine Gruppe hat, die nicht miteinander kommuniziert, gibt es eine Menge verschiedener Geschichten“, sagte Sharp gegenüber Alternative Press über seine letzten Tage mit der Band.

Weezer kehrten erst Ende 2000 ins Studio zurück – dieses Mal mit Mikey Welsh am Bass. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Musikkonsum bereits stark verändert. Das Internet war nun ein Zentrum von Foren und illegalem File-Sharing. Auch der Mainstream-Emo fand seinen Weg in den kulturellen Zeitgeist und die Stars des Genres – Jimmy Eat World, Saves the Day und Dashboard Confessional – schienen alle Weezer als ihren größten Einfluss zu nennen. Pinkerton war zu einer Underground-Sensation geworden, die vor allem von Teenagern liebevoll gerettet wurde, die zu Cuomo als ihrem leidenschaftlichen König der Außenseiter aufblickten.

„Pinkerton ist nicht nur mein Lieblingsalbum von Weezer, sondern eines meiner Lieblingsalben aller Zeiten“, sagte Justin Pierre von Motion City Soundtrack später gegenüber Alternative Press. „Es ist chaotisch, hässlich und roh. Es ist voll von Schmerz, Humor und brutaler Ehrlichkeit. Lasst es mich so formulieren: Wenn Weezer der Film Rudy wäre, dann wäre Pinkerton so, als würde man für Notre Dame spielen.“

Cuomo hat das Wiederaufleben jedoch nicht begrüßt.

„Das Schmerzhafteste in meinem Leben ist heutzutage der Kult um Pinkerton“, sagte Cuomo 2001 dem Rolling Stone.

„Es ist einfach ein krankes Album, krank auf eine kranke Art und Weise. Es ist eine Quelle der Angst, weil all die Fans, die wir jetzt haben, wegen dieses Albums geblieben sind. Aber ganz ehrlich, ich will diese Songs nie wieder spielen, ich will sie nie wieder hören.“

Im Mai 2001 veröffentlichten Weezer ein weiteres selbstbetiteltes Album, das sogenannte Green Album. Als Anspielung auf ihr Debüt war das Cover dem des Blue Albums nachempfunden und Ric Ocasek war wieder als Produzent tätig. Die erste Single, Hash Pipe“, war ein sofortiger Erfolg. Die Band hatte einen weiteren Platin-Hit gelandet.

Mit seinem blitzsauberen Power-Pop und den unpersönlichen Texten galt das Green Album als das Anti-Pinkerton, und Cuomo verbrachte einen Großteil der Pressetour des Albums damit, genau das gegenüber den Medien zu bestätigen.

„Diese Platte ist rein musikalisch“, sagte Cuomo stolz dem Rolling Stone. „Es gibt keine Gefühle, es gibt keine Emotionen.“

Der Ego-Schub, den der Erfolg des Grünen Albums mit sich brachte, kombiniert mit jahrelanger Meditation und der Bereitschaft der Medien, das Kriegsbeil zu begraben, schien Cuomo zu helfen, alte Wunden zu heilen. Im Jahr 2002 wählten die Leser des Rolling Stone Pinkerton zum 16. besten Album aller Zeiten. Zwei Jahre später änderte RS die ursprüngliche Bewertung von drei Sternen in volle fünf von fünf. Vor allem aber gab Cuomo zu Protokoll, dass er 2008 endlich Frieden mit seinem Meisterwerk geschlossen hat.

„Pinkerton ist großartig. Es ist super tiefgründig, mutig und authentisch. Wenn ich es mir anhöre, merke ich, dass ich es wirklich darauf anlegte, als ich viele dieser Songs schrieb und aufnahm“, sagte Cuomo 2008 gegenüber Pitchfork.

In einer ironischen Wendung der Geschichte begannen einige langjährige Fans, die letzten Bemühungen der Band zu beklagen und bettelten um mehr Pinkerton- und Blue Album-ähnliches Material. Dieses Mal gab Cuomo den Leuten, was sie wollten. Im Jahr 2010 brachte die Band eine Deluxe-Edition von Pinkerton heraus und ging auf eine internationale Tournee, auf der sie sowohl das Blue Album als auch Pinkerton in seiner Gesamtheit spielte. Vierzehn Jahre nach der Veröffentlichung hatte Pinkerton endlich die Anerkennung bekommen, die es verdiente.

„Die Erfahrung, diese Songs noch einmal zu lernen, sie jede Nacht zu singen, mit den Jungs daran zu arbeiten und dann in einem relativ kleinen Veranstaltungsort mit 1.000 der eingefleischtesten Weezer-Fans zu sein und sie jede Silbe singen zu hören, sie zu sehen, wie sie alle Fills trommeln – das war eine unglaubliche Erfahrung. … Es war ein großartiges Gefühl, von den Fans bestätigt zu werden, für dieses Album, das so persönlich für mich war und jahrelang eine Quelle des Schmerzes darstellte. Sich für diesen sehr ehrlichen Teil meiner selbst geliebt und akzeptiert zu fühlen, war inspirierend“, sagte Cuomo 2015 gegenüber Pitchfork.

Seitdem haben Weezer zwei weitere Alben veröffentlicht: Das treffend betitelte Everything Will Be Alright in the End von 2014 und das selbstbetitelte White Album von diesem Jahr. Beide wurden von der Kritik gelobt, weil sie den „alten“ Sound der Band wieder aufgreifen. Pinkerton hat sich zum Goldstandard für Weezer-Platten entwickelt, wobei jede neue Veröffentlichung dem entgegenwirkt, was zunächst wie ein karrierebeendender Flop aussah.

Am 16. September 2016 – nur acht Tage vor dem 20-jährigen Jubiläum – wurde Pinkerton mit Platin ausgezeichnet und beendete damit die surreale Geschichte eines Albums, das fast zwei Jahrzehnte brauchte, um von peinlich zu essentiell zu werden.

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