Gotra, Abstammungssegment innerhalb einer indischen Kaste, das Mischehen aufgrund der Abstammung der Mitglieder von einem gemeinsamen mythischen Vorfahren verbietet, ein wichtiger Faktor bei der Bestimmung möglicher hinduistischer Heiratsbündnisse. Der Name (Sanskrit: „Viehstall“) deutet darauf hin, dass das zeitgenössische Liniensegment wie eine gemeinsame Familie handelte, die den Besitz gemeinsam besaß. Gotra bezog sich ursprünglich auf die sieben Liniensegmente der Brahmanen (Priester), die sich von sieben alten Sehern ableiten: Atri, Bharadvaja, Bhrigu, Gotama, Kashyapa, Vasishtha und Vishvamitra. Schon früh kam eine achte Gotra hinzu, die Agastya, benannt nach einem Seher, der eng mit der Verbreitung des vedischen Hinduismus in Südindien verbunden war. In späteren Zeiten wuchs die Zahl der Gotras, als man das Bedürfnis verspürte, die brahmanische Abstammung zu rechtfertigen, indem man einen vedischen Seher für seine Linie reklamierte.
Die Praxis des Heiratsverbots zwischen Mitgliedern derselben Gotra sollte die Gotra von vererbten Makeln freihalten und auch den Einfluss einer bestimmten Gotra durch breitere Bündnisse mit anderen mächtigen Linien ausweiten. Das System wurde bis zu einem gewissen Grad auch von nicht-brahmanischen Gruppen übernommen, um einen Teil des sozialen Prestiges der Brahmanen zu übernehmen. Ursprünglich hatten auch die Kshatriya (Krieger-Adlige) ihre eigenen Dynastien. Die wichtigsten traditionellen Dynastien waren die Mond- und die Sonnen-Dynastie, denen die Helden der Sanskrit-Epen Mahabharata und Ramayana angehörten. Die Epen zeichnen kein hinreichend klares Bild, um die Exogamie solcher Linien zu bestimmen; Heiratsbündnisse scheinen eher durch territoriale Überlegungen motiviert gewesen zu sein. In späteren Zeiten übernahmen auch die Kshatriya und die Vaishya (Händler) das Konzept der gotra, indem sie für ihre Gruppen die gotra ihrer benachbarten brahmanischen gotras oder die ihrer Gurus (spirituellen Führer) annahmen, aber diese Innovation war nie sehr einflussreich.