Das Facettenauge ist eines der klassischen Themen der Sinnesphysiologie und der Neurowissenschaften. Die relative (oder vermeintliche) Einfachheit des Auges und des zugehörigen Nervensystems hat Forscher seit Anfang des 20. Jahrhunderts ermutigt. Elektrophysiologische Untersuchungen begannen mit intrazellulären Aufzeichnungstechniken ab 1960 (Burkhardt und Autrum, 1960). Moderne Ergänzungen zu Studien über das Facettenauge kommen durch die Verwendung von Mutantenmodellen (Drosophila) und Computermodellierung, die die Allgemeinheit der Forschung über das Sehen von Insekten weiter erhöht haben.
- Inhalt
- Grundlegender Aufbau und Funktion
- Photorezeptorfunktion
- Phototransduktion
- Räumlich-zeitliche Filterung durch Photorezeptoren
- Synaptische Übertragung zu Zellen 2. Ordnung
- Synaptische Übertragung zu LMCs bei Fliegen
- Zeitliche Differenzierung
- Laterale Hemmung
- Rückkopplungen und Netzwerkverarbeitung
- Visuelle Signalverarbeitung in höheren Hirnzentren
- Signalverarbeitung im Rückenmark
- Bewegungserkennung
- Looming-Neuronen
Inhalt
- 1 Grundlegende Struktur und Funktion
- 2 Photorezeptorfunktion
- 2.1 Phototransduktion
- 2.2 Räumlich-zeitliche Filterung durch Photorezeptoren
- 3 Synaptische Übertragung zu Zellen 2. Ordnung
- 3.1 Synaptische Übertragung zu LMCs in Fliegen
- 3.1.1 Zeitliche Differenzierung
- 3.2 Laterale Hemmung
- 3.3 Rückkopplungen und Netzwerkverarbeitung
- 3.1 Synaptische Übertragung zu LMCs in Fliegen
- 4 Visuelle Signalverarbeitung in höheren Hirnzentren
- 4.1 Signalverarbeitung in der Medulla
- 4.2 Bewegungserkennung
- 4.3 Looming-Neuronen
- 5 Referenzen
- 6 Interne Referenzen
Grundlegender Aufbau und Funktion
Abbildung 1: Schematischer Aufbau des Insekten-Verbundauges. Die Größe und detaillierte Struktur der verschiedenen neuronalen Ganglien und Zentren kann von Art zu Art variieren. Die dargestellte Struktur entspricht am ehesten der von Zweiflüglern, obwohl die Anzahl der retinotopischen Elemente (Facetten und entsprechende Teile in tieferen Strukturen) normalerweise viel größer ist.
Zusammengesetzte Augen sind Sehorgane bei Gliederfüßern (Insekten und Krebstiere). Ein Facettenauge ist durch eine variable Anzahl (einige wenige bis tausende) kleiner Augen, Ommatidien, gekennzeichnet, die als unabhängige Lichtrezeptionseinheiten mit einem optischen System (Hornhaut, Linse und einige Hilfsstrukturen) und normalerweise acht Fotorezeptorzellen funktionieren. Die Facettenaugen bilden kein Bild wie die großen Linsenaugen von Wirbeltieren und Kraken, sondern ein „neuronales Bild“ wird von den Photorezeptoren in den Ommatidien gebildet, die so ausgerichtet sind, dass sie Licht aus verschiedenen Richtungen empfangen, die durch die Optik der Ommatidien, die Krümmung des Auges und die Abstandsanordnung und Dichte der Ommatidien definiert sind (Abb. 1). Das optische System weist zahlreiche Varianten auf, je nachdem, wie isoliert die Ommatidien voneinander sind und wie das Licht auf die Photorezeptoren fokussiert wird. Hauptvarianten sind das Appositionsauge, bei dem die Ommatidien optisch isoliert sind (z. B. bei Heuschrecken und Käfern; typisch für tagaktive Insekten), das Superpositionsauge, bei dem die Ommatidien nicht optisch isoliert sind (z. B. bei Schmetterlingen; typisch für dämmerungs- oder nachtaktive Insekten), und das neurale Superpositionsauge, bei dem die Ommatidien optisch isoliert sind, aber die neuronale Anordnung eine teilweise Summierung von Pixeln bewirkt (zu finden bei tagaktiven Fliegen) (Rezensionen: Land, 1981; Stavenga 2006).
Abbildung 2: Grundlegende Konstruktionen von Komplexaugen. (A) Ein fokal-appositionelles Facettenauge. Das Licht gelangt durch eine kleine Hornhautlinse in jedem kleinen Auge zu den Photorezeptoren. (B) Ein brechendes Verbundauge mit Überlagerung. Eine Reihe optischer Elemente bündelt das Licht auf die Fotorezeptoren in der Netzhaut (cz, die klare Zone des Auges). Nach Warrant 2004
Lichtstimulation erzeugt depolarisierende abgestufte Potenziale in den Photorezeptoren von Insekten (im Gegensatz zu hyperpolarisierenden in Stäbchen und Zapfen von Wirbeltieren). Aktionspotenziale gibt es im Allgemeinen nicht, obwohl sie in den Photorezeptoren einiger Arten eine Rolle spielen können (z. B. bei der Schabe, Heimonen et al. 2006). Die Verarbeitung der Signale erfolgt in der ersten synaptischen Schicht, der Lamina, und in den weiteren neuronalen Zentren (z.B. dem Mark) retinotopisch. Das bedeutet, dass die „Pixel“, die durch die anatomische Organisation der Netzhaut entstehen, erhalten bleiben. Die Signale und ihr Informationsgehalt ändern sich jedoch ständig. In tieferen visuellen Zentren wird die retinotopische Organisation zugunsten von Analysen auf höherer Ebene, wie Bewegungserkennung, Mustererkennung und visuelle Orientierung, unterbrochen (Strausfeld 1976).
Photorezeptorfunktion
Phototransduktion
Die molekulare Grundlage der Phototransduktion bei Insekten ist am besten in Drosophila melanogaster bekannt (Hardie und Raghu 2001). Die Absorption von Lichtquanten durch Rhodopsin-Moleküle führt zur Aktivierung eines G-Protein-gekoppelten Phosphoinositidweges. Dies geschieht im mikrovillaren Teil des Photorezeptors in einem sehr kleinen Kompartiment, in dem alle beteiligten Moleküle sehr nahe beieinander liegen. Der molekulare Mechanismus beinhaltet die Aktivierung von zwei Arten von kationischen Ionenkanälen in der Mikrovillare, wodurch ein lichtinduzierter Strom (LIC) entsteht, der mit Spannungsklemmenmethoden wie der Patch-Clamp-Methode messbar ist. Die Öffnung der Kanäle (Produkte der trp- und trpl-Gene) führt zu einer Ca2+- und Na+-Leitfähigkeit, wodurch der Photorezeptor depolarisiert wird. Die Photorezeptoren von Insekten können wie ihre Pendants bei Wirbeltieren, die Stäbchen und Zapfen, mit so genannten Quantenbumps auf einzelne Photonen reagieren, allerdings mit schneller Kinetik. Durch die Verschmelzung von Spannungsantworten auf einzelne Quanten entsteht das (abgestufte) Rezeptorpotential, das in den meisten Fällen passiv entlang des Axons geleitet wird.
Räumlich-zeitliche Filterung durch Photorezeptoren
Abbildung 3: Transduktionsstrom und Filterung durch die nicht-transduktive Membran. a) Diagramm der wichtigsten beteiligten Ionenströme (Ionenpumpen und -austauscher wurden weggelassen). Lichtstimulation induziert einen kationischen Strom vom Mikrovillus zum Rest der Zelle, wobei ein Teil der Rückströme durch Kv-Kanäle fließt. b) Illustration der Idee des Membranfilters, der aus einer Kombination von passiver Membran (mit ihrer normalen RC-Struktur) und den Kv-Kanälen besteht.
Die kleine Augenoptik der Photorezeptoren schafft eine Situation, in der ein punktförmiges Objekt, das sich durch das rezeptive Feld eines Photorezeptors bewegt, eine nahezu gaußsche Intensitätsverteilung in Abhängigkeit vom Einfallswinkel erzeugt (Stavenga, 2006). Das gesamte Facettenauge funktioniert auf diese Weise, was bedeutet, dass der erste Teil des Auges zusätzlich zu der durch die Dichte der optischen Elemente bedingten Abtastung eine räumliche Tiefpassfilterung des visuellen Bildes vornimmt. Gleichzeitig sind die Photorezeptorsignale notwendigerweise sowohl durch die Langsamkeit der Transduktion selbst als auch durch die Membranzeitkonstante begrenzt, so dass eine zeitliche Tiefpassfilterung erfolgt (Abb. 3; van Hateren 1992). Die (nichtleitende) Photorezeptormembran ist besonders langsam, weil die Mikrovillarmembran die Membranfläche fast um das 5-6fache vergrößert und nicht in gleichem Maße einen leitenden Pfad schafft. Beide Filterungsvorgänge können reguliert werden. Das rezeptive Feld kann durch subtile Veränderungen der Optik etwas verengt oder erweitert werden. Andererseits verfügt die Photorezeptormembran über spannungsabhängige K+-Kanäle (vom Typ Kv), die den Membranwiderstand bei Depolarisation senken (Weckström und Laughlin, 1995). Das bedeutet, dass die Photorezeptoren bei Stimulation schneller werden und schärfere rezeptive Felder aufweisen.
Synaptische Übertragung zu Zellen 2. Ordnung
Synaptische Übertragung zu LMCs bei Fliegen
Sehinformationen in Form von neuronalen Spannungssignalen werden im ersten Neuropil, der Lamina, weiterverarbeitet, wo die Neuronen 2. Ordnung, die großen monopolaren Zellen (oder LMCs) die postsynaptischen Elemente bilden. Diese sind oft, am auffälligsten bei den Dipteren, in retinotopischen Neuralleisten gruppiert, die von Gliazellen ausgekleidet sind. Die Zellen 2. Ordnung empfangen Signale von den Photorezeptoren in Form von Histamin-Transmittern, die schnelle Cl-Kanäle in den LMCs öffnen (Hardie, 1989) und so hyperpolarisierende Antworten auf depolarisierenden Photorezeptor-Input erzeugen.
Abbildung 4: Reaktionen der Photorezeptoren der Fliege auf Lichtpulse bei Dunkeladaptation (A) und auf Kontrastpulse bei Lichtadaptation (C und D); Reaktionen der Interneuronen erster Ordnung, der LMCs, zeigen umgekehrte Reaktionen auf dieselben (B, E und F). Abgeändert von Juusola et al. 1995.
. Das Cl-Gleichgewichtspotential ist in den LMCs sehr negativ, was bedeutet, dass Depolarisationen in den Photorezeptoren in Hyperpolarisationen in den LMCs umgewandelt werden, d.h. die Signale wechseln das Vorzeichen.
Abbildung 5: Adaptive Änderung der synaptischen Frequenzantwortfunktion (Verstärkungsteil), d.h. die Signalübertragung von den Photorezeptoren zu den LMCs. Die Pfeile zeigen die Richtung der Veränderung bei zunehmender Umgebungshelligkeit. Modifiziert aus Juusola et al. 1996.
Zeitliche Differenzierung
Zusätzlich zum Vorzeichenwechsel werden die Signale in den LMCs durch einen Prozess, der der Differenzierung (oder dem zeitlichen Antagonismus) ähnelt, weiter verändert (Laughlin, 1987). Dabei verändert die durchschnittliche Beleuchtungsintensität den Charakter der synaptischen Übertragung: Bei schwachem Licht hat die Synapse zeitliche Eigenschaften wie die der Photorezeptoren, bei hellem Licht verwandelt sich die Synapse in einen Hochpassfilter (Abb. 3.). Diese Anpassung der zeitlichen Eigenschaften verstärkt die zeitlichen Kontraste und wird offenbar für die weitere Verarbeitung benötigt.
Laterale Hemmung
Auch die räumliche Verarbeitung findet ganz in der Peripherie des Facettenauges, in der Lamina, statt. Dort sorgt ein Prozess namens laterale Inhibition für räumlichen Anagonismus (ähnlich wie in der Wirbeltiernetzhaut; Laughlin, 1987). Die zelluläre Grundlage der lateralen Hemmung könnte eine Kombination aus direkten synaptischen Rückkopplungen von der Lamina zu den Photorezeptoren sein, aber auch in den wenig untersuchten extrazellulären Potentialen in Verbindung mit der Regulierung der glialen Permeabilität oder Ströme liegen. Die laterale Inhibition ist in der Lage, Signale an jedem Pixel (einem Ommatidium) abzuschwächen, die wahrscheinlich sind, d.h. auf der Grundlage der benachbarten Pixel vorhergesagt werden können. Die räumliche Informationsverarbeitung kann somit die Anforderungen der prädiktiven Kodierung erfüllen (Srinivasan et al., 1982)
Rückkopplungen und Netzwerkverarbeitung
Die Photorezeptoren zumindest im Fliegenverbundauge erhalten Rückkopplungen von den Zellen zweiter Ordnung durch ein Netzwerk in der Lamina (Zheng et al, 2006). Im weiteren Sinne ist dies Teil dessen, was man als Netzwerkanpassung bezeichnen kann, wobei die den Photorezeptoren nachgeschalteten neuronalen Elemente ihre Funktion entsprechend den Eingangseigenschaften ändern. Dadurch wird die zeitliche Leistung des visuellen Systems verbessert. Es ist jedoch nicht bekannt, wie weit diese Mechanismen bei anderen Tieren außer Fliegen verbreitet sind.
Visuelle Signalverarbeitung in höheren Hirnzentren
Signalverarbeitung im Rückenmark
Über die Signalverarbeitung im Rückenmark liegen nur sehr wenige experimentelle Daten vor, und unser Wissen beruht größtenteils auf Schlussfolgerungen, die auf anatomischen Untersuchungen der synaptischen Verbindungen und lokalen Mikroschaltkreise beruhen. Die retinotopische Organisation der Signale wird wahrscheinlich beibehalten, aber die Signale mehrerer Ausgänge der Lamina-Neuronen sind auf verschiedene Bahnen aufgeteilt, die möglicherweise Funktionen wie Farbunterscheidung, elementare Bewegungserkennung (siehe unten) und Intensitätskodierung erfüllen.
Bewegungserkennung
Neuronen, die vorwiegend auf Bewegungen im Gesichtsfeld reagieren (Insect motion vision neurons), befinden sich in der Lobula oder im Lobularplattenganglion. Es wird angenommen, dass sie retinotopischen Input von hypothetischen neuronalen Elementen erhalten, die als EMDs (Elementarbewegungsdetektoren) bezeichnet werden und sich wahrscheinlich im Medulla befinden. Sie berechnen die Bewegung aus der pixel-basierten Information mit einem Mechanismus, der Reichardt-Korrelation genannt wird (Hassenstein und Reichardt, 1956). Die zellulären Substrate der EMDs sind noch nicht gefunden worden, aber die Indizien für die Mechanismen und die Existenz von EMD-ähnlichen Elementen sind ziemlich stark. Es gibt verschiedene Arten von Bewegungserkennungsneuronen, aber grob lassen sie sich in Detektoren für horizontale und vertikale Bewegung einteilen (Hausen, 1981). Die Ausgänge der Zellen werden zur Steuerung von Bewegungen verwendet, sei es zu Lande oder im Flug (wie die so genannten optomotorischen Reaktionen). Einige Zellen können auch an der Erkennung detaillierter Objekte beteiligt sein.
Looming-Neuronen
Einige Insekten, insbesondere Heuschrecken, verfügen nachweislich über ein spezielles System, mit dem sie Kollisionen vermeiden und generell Objekte erkennen können, die sich ihnen in ihrem Gesichtsfeld nähern (z. B. Rind und Simmons, 1992). Bei Heuschrecken wurde ein Lobula-Neuron namens LGMD (lobula giant movement detector) beschrieben, das über einige Relais einen Ausgang zu bewegungskontrollierenden neuronalen Schaltkreisen hat. Es reagiert nicht auf die Bewegung des gesamten Gesichtsfeldes, sondern stark auf sich vergrößernde (drohende) Objekte. Diese Reaktion wird schnell weggewöhnt.
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